Was ist ein Ritual? Darüber diskutieren wir Menschen immer wieder. Es existieren verschiedene Definitionen nebeneinander, die alle an sich stimmig sind.
Es kommt jedoch sehr darauf an, was die verschiedenen Gesprächsteilnehmer unter einem Ritual verstehen. Gerade weil das Wort Ritual für viele unterschiedliche Aktivitäten im Leben benutzt wird, lohnt sich der Blick auf die Definitionen. Letztlich ist es ein sehr grosser Unterschied, ob man von einem grossen feierlichen Anlass spricht, oder einer kleinen, sich regelmässig im Alltag wiederholenden Aktivität.
Was sind Rituale also? Wie differenzieren wir sinnvoll? Welche Art von Ritual kommt bei welcher Gelegenheit zum Einsatz?
- Ein Ritual ist eine religiöse oder kulturelle Feier zu einem wichtigen und transformierenden Ereignis im Leben eines einzelnen Menschen. Darüber hinaus finden Rituale und Zeremonien zu wichtigen Geschehnissen eines Volkes und im sich wiederholenden Jahreskreis der Religionen, der Kulturen und der Natur statt. Gehaltvolle Symbole und rituelle Handlungen sind dabei von zentraler Bedeutung.
- Ein Ritual umschreibt auch Handlungen im Alltag, die sich stets auf die gleiche Weise wiederholen. Somit stellen sie ein strukturelles Element im Leben dar. Dazu gehören auch die gleichbleibenden Abläufe und Interaktionen, welche das Zusammenleben mit den Mitmenschen regeln und gestalten.
Festliche Rituale zu bedeutsamen Ereignissen im Leben eines Menschen sind etwas völlig anderes, als die Rituale des täglichen Lebens.
Feierliche Rituale im Lebenslauf des Menschen
In jeder Kultur werden elementare und transformierende Ereignisse im Lebenslauf eines Menschen gefeiert. In der christlichen Welt führen die Geistlichen diese Feierlichkeiten in zeremonieller liturgischer Form durch. Ob weltlich, kulturell oder religiös, symbolische Elemente und rituelle Handlungen sind bis heute tragende Elemente bei feierlichen Ritualen. Intuitiv verstehen die Menschen die symbolischen Botschaften, welche auf einer tiefen psychologischen oder spirituellen Ebene gesendet werden. Die Ritualteilnehmer fühlen sich dadurch verbunden mit dem grossen Ganzen und aufgehoben in der Gemeinschaft.
Sehr wichtig ist bei grossen Feiern, dass die Familie und der dazugehörende Freundes- und Bekanntenkreis mit einbezogen wird. Auf diese Weise wird die Veränderung und der Neuanfang der betroffenen Personen verdeutlicht, bezeugt und öffentlich anerkannt. Das setzt Kräfte frei und sichert gleichzeitig die Unterstützung der Gemeinschaft. Bei einer Trauung zum Beispiel, wird vor allen anwesenden Zeugen aus zwei ledigen Personen ein Ehepaar. Ein neues, nun gegenseitig versprochenes und gefeiertes Wir entsteht! Nun schreitet das Paar gesegnet Hand in Hand, unter dem Applaus und der Glückwünsche der Gäste, in den neuen gemeinsamen Lebensweg. Die Erinnerung an das Hochzeitsfest spendet lange Kraft und Vertrauen, und stärkt das Band der Beziehung nachhaltig.
Feierliche Rituale im Jahresgeschehen
Im Jahreskreis werden seit Menschengedenken zyklische Rituale gefeiert, welche auf Naturphänomene und dem Lauf der Sonne gründen. Die Tag- und Nachtgleichen im Frühling und im Herbst, und die Sonnenwenden im Sommer und im Winter luden immer schon zu Ritualen ein. Jedem einzelnen dieser Rituale lag eine andere Bedeutung zu Grunde. Zur Sommersonnenwende feiern wir beispielsweise vielerorts heute noch das Erntedankfest.
Religiöse Feiern wurden oft auf den Zeitpunkt althergebrachten Riten und Bräuche gelegt. Weihnachten ist ein gutes Beispiel, welches im Bereich der Sonnenwende im Dezember stattfindet. Ursprünglich wurde die Wintersonnenwende als Feuer- und Lichtfest gefeiert, um die länger werdenden Tage und die Wiedergeburt des Lichtes zu feiern. Heute kennen wir mehr denn je das Leuchten der Weihnachtstage, durch die elektronisch verfügbaren Lichterketten, welche Städte und Häuser schmücken. Der Weihnachtsbaum mit den brennenden Kerzen ist seit rund fünf Jahrhunderten ein Symbol für das Weihnachtsfest. Dies ist tief in unserer westlichen Welt verankert und gilt als Zeichen des kommenden Lichts der länger werdenden Tage. Die Geburt Christi in der christlichen Religion stellt symbolisch ebenfalls ein Licht der Hoffnung dar, begleitet vom leuchtenden Stern von Bethlehem.
Ereignisbezogene Rituale
Ereignisbezogene Rituale feiern die Menschen auf der gesellschaftlichen wie auch auf persönlicher Ebene. Eine Naturkatastrophe oder eine durch Menschen verursachte Tragödie führt oft dazu, dass der Staat eine symbolische Handlung initiiert. Das setzen aller Fahnen auf Halbmast ist eine solche rituelle Geste. Die Regierung ordnet zudem in einer solchen Situation oft eine Schweigeminute im ganzen Land an. Die Medien übertragen die Gedenkfeiern für die Opfer einer Tragödie. Somit erleben die Menschen in ihren Stuben das Ritual mit, was für sie tröstlich ist.
Persönliche Ereignisse ausserhalb der grossen Feiern im Leben einer Person, können ebenfalls mit passenden Ritualen begleitet werden. Es können sogar sehr private Themen sein. Ein Ritualprozess bietet dem betroffenen Menschen bei einer grossen Veränderung Halt und die Möglichkeit, Schweres nach und nach loszulassen. Zu den persönlichen Ereignissen gehören Krisensituationen jeder Art, wie Trennung, Verlust oder grosse Sorgen, welche mit einer Ritualbegleitung sinnvoll und kreativ aufgefangen und mitgetragen werden.
Glücklichen persönlichen Ereignissen Aufmerksamkeit zu schenken, bewirkt ebenfalls viel Gutes. Überwundene Krankheiten, Versöhnungen und Erfolge mit Dankbarkeit und Würdigung zu feiern, schafft bleibende Erinnerungen! Diese sind im persönlichen Rucksack wie ein stärkendes Proviant.
Rituale im Alltag
Alltagsrituale können sowohl einen zyklischen wie auch einen interaktiven Charakter aufweisen. Sie bezeichnen Handlungen, welche in der Regel immer wieder gleich ablaufen. Damit strukturieren sie einerseits den Alltag und andererseits das Zusammenleben mit anderen Menschen. Die gleichbleibenden Interaktionen im Zwischenmenschlichen regeln auf rituelle Weise den Austausch untereinander.
Den Partner immer mit einem Kuss zu verabschieden, den Kindern jeden Abend eine Gutenacht Geschichte zu erzählen sind solche Rituale. In der heutigen Zeit mit den Corona-Massnahmen entfällt zum Beispiel das Begrüssungsritual des Händeschschüttelns oder der Umarmung. Neu gelten Distanzregeln, und dies führt zu seltsamen Emotionen, weil etwas symbolisch Elementares in der Interaktion mit dem anderen Menschen fehlt. Anfänglich entstand damit ungewohnte Unsicherheit. Inzwischen formen sich neue Begrüssungsrituale, welche die entstandene Lücke wieder füllen. Dies zeigt, wie wichtig Alltagsrituale und Rituale im Austausch mit den Mitmenschen sind und wie viel sie uns wirklich bedeuten.